Day: 6. Januar 2018

WARUM, PAPA?

Netzfund:

„Gute Nacht Geschichte ..

WARUM, PAPA?

Klaus hatte es sich in seinem Lieblingssessel bequem gemacht. Es war dieser private Rückzugsort, den er mehr und mehr zu schätzen lernte, fernab von der immer bedrohlicher werdenden Welt da draußen. Doch diesmal blieb er nicht ungestört, sein erwachsener Sohn lugte vorsichtig durch die offene Tür.

„Papa?“, fragte der Filius mit leiser Stimme.

„Ja, Leon?“

„Kann ich mal mit Dir sprechen?“

Klaus legte seine Lektüre beiseite, denn Leon klang ernst, viel ernster als sonst. „Na komm schon, was hast Du auf dem Herzen?“

Leon setzte sich seinem Vater gegenüber. „Papa, was war das für eine Zeit, damals, als ich geboren wurde?“

Der Vater zog die Augenbrauen hoch. „Wie kommst Du denn jetzt darauf?“, fragte er. „Was soll das für eine Zeit gewesen sein? Ganz normal war alles, es gab nichts Besonderes. Außer Dir natürlich. Deine Mutter und ich waren so dankbar, als Du geboren wurdest. Du warst ein echter Prachtkerl…“

Leon unterbrach: „Papa, das meine ich nicht. Was für eine Zeit war das damals in unserem Land? War es damals schon so wie heute?“

„Was meinst Du damit?“

„Na, wurden wir Christen damals schon wie Aussätzige behandelt? Musste die Gemeinde damals schon Schutzgeld an den Imam bezahlen? Und war die Scharia schon immer Gesetz bei uns?“

„Junge, wo hast Du auf einmal diese Fragen her?“

Leon senkte die Stimme. „Ich war im Internet.“

„Ja, und?“

„Ich meine, im richtigen Internet.“

„Du meinst…“

„Ja, im richtigen Internet, auf Seiten von Exildeutschen, in Polen, in Ungarn, in…“

„Leon, bist Du wahnsinnig? Weißt Du was passiert, wenn das rauskommt? Was hast Du getan?“

„Ich hab‘ die Sperre ausgetrickst und manipuliert. Keine Sorge, Papa – ich bin vorsichtig. Das kann keiner zurückverfolgen.“

„Dein Wort in Gottes Ohr! Glaubst Du, Du bist schlauer als die Behörden? Wenn die Dich erwischen, sitzt Du mindestens drei Jahre im Knast! Und das als ‚Ungläubiger‘, weißt Du, was das heißt? Hast Du den Verstand verloren?“ Klaus war sichtlich wütend auf seinen Sohn.

„Papa, ich glaube, ich habe meinen Verstand jetzt erst gefunden. Warum hast Du mir nie erzählt, wie es früher war? Warum muss ich das aus illegalen Webseiten erfahren und Gefängnis dafür riskieren?“

Klaus wurde plötzlich kleinlaut. „Leon, das ist so lange her. Damals war eine andere Zeit. Als die ganzen Menschen aus dem Nahen Osten kamen und aus Afrika… Das waren doch Flüchtlinge. Wir wollten doch nur helfen, das ist doch unsere Pflicht als Christen.“

„Gehörte Dummheit und Naivität auch zu unserer Pflicht?“

„Was meinst Du damit?“

„Papa, ich habe Dinge gelesen, die ich vorher noch nie gehört habe. Ihr hattet damals noch die Möglichkeit, Euch relativ frei zu informieren. Und es gab definitiv warnende Stimmen! Warum habt Ihr die nicht gehört? Du willst mir doch nicht erzählen, dass keiner gemerkt hat, dass das eine Invasion war? Ihr hattet doch alle Informationen über islamische Staaten, über den Charakter des Islam, über seine Eroberungsstrategie. Und dann holt eine Kanzlerin Millionen Muslime ins Land, stellt sich einfach hin und sagt ‚Wir schaffen das‘ – und keiner steht dagegen auf?“

Klaus wurde sichtlich unwohl, weil er sich plötzlich in der Defensive sah. „Was hätte ich denn da als Einzelner tun sollen? Wir hätten es uns nie träumen lassen, dass wir mal vor den Schutzsuchenden Schutz suchen müssen. Aber es gehörte sich damals einfach so, dass man da mitmachte.“

„Und Du hast einfach mitgemacht?“

„Wenn Du wüsstest! Das waren halt einfach andere Zeiten, das kannst Du Dir heute nicht vorstellen. Wir haben doch von nichts gewusst, wir hatten doch nur ARD und ZDF.“

„Das stimmt nicht, Papa! Ihr hattet noch richtiges Internet und Facebook & Co. waren damals auch noch ziemlich frei. Außerdem gab es noch einige regierungsunabhängige Medien. Im Gegensatz zu heute hattet Ihr Bypässe um die Staatpropaganda.“

„Offenbar hast Du ja auch einen guten Bypass gefunden.“

„Lenk‘ jetzt nicht ab, Papa!“

„Schon gut“. Klaus lehnte sich zurück und schaute an die Decke. „Als die ersten Terroranschläge begannen und die Messerattacken sich häuften, hatte ich schon geahnt, wen wir da ins Land ließen. Aber der gesellschaftliche Druck war zu groß. Man wollte ja auch nicht als Nazi tituliert werden.“

„Papa, willst Du das im Vergleich zu heute allen Ernstes als Verfolgung bezeichnen?“ Leon fixierte seinen Vater mit den Augen, der seinem Blick jedoch auswich. „Ich habe gelesen, dass es sogar eine Partei im Bundestag gab, die gegen die Islamisierung stimmte. Viele Millionen Deutsche haben die gewählt, als es noch freie Wahlen gab. Was hast Du damals gewählt, Papa?“

Klaus stockte. Die Fragen seines Sohnes waren so einfach, so klar, so simpel. Die Gedanken von Klaus wirbelten durcheinander. Warum habe ich damals nicht… ja, warum eigentlich?

„Papa?“

„Ja.“

„Was sagst Du dazu?“

„Weißt Du, Leon – unser Nachbar war in dieser Partei, sogar im Kreistag. Und dann hatte der Mann auf einmal keinen Job mehr und die Wohnung wurde ihnen auch gekündigt. Da habe ich lieber den Mund gehalten. Du warst doch damals noch so klein, wir konnten doch unsere Existenz nicht gefährden!“

„Hast Du denn nicht an mich gedacht?“

„Ich habe immer nur an Dich gedacht, Leon! Und an Deine Schwester.“

„Das glaube ich Dir nicht, Papa! Hättest Du an unsere Zukunft gedacht, dann wärst Du gegen die Islamisierung aufgestanden. Dann wäre Deutschland jetzt vielleicht kein Bundesstaat in einer Islamischen Republik Westeuropa. Wir müssten als Christen nicht ständig in Angst leben. Mama und Sophia könnten ohne Kopftuch aus dem Haus gehen. Sophia hätte nicht ihre beste Freundin verloren, die einfach erstochen wurde. Du erinnerst Dich? Der Täter wurde vom Scharia-Gericht freigesprochen…“

„Junge, diese Entwicklung war damals nicht abzusehen…“

„…und wir könnten in der Gemeinde Gottesdienst feiern, ohne vor Attentätern Angst haben zu müssen. Wie letzte Woche in…“

„Ja doch…“

„Da haben die bewusst nur auf Frauen und Kinder geschossen…“

„Ja doch, Leon…“

„Und neulich in…“

„HÖR AUF!!!“

Lähmende Stille legte sich über das Wohnzimmer. Die Tür öffnete sich. Der Kopf der Mutter erschien. „Habt Ihr Stress, Ihr zwei?“, fragte sie. „Ihr solltet ein bisschen leiser sein, man weiß nie, ob die Wände Ohren haben.“

Die Tür schloss sich wieder. Die Stille blieb. Klaus hatte immer Angst davor gehabt, dass sein Sohn einmal die Wahrheit herausfinden würde – und mit der Wahrheit das ganze Versagen seines Vaters. Was hatte sich Klaus als junger Mensch nicht alles auf seinen Durchblick eingebildet. Als er sich mit der Nazi-Zeit beschäftigte, war für ihn klar: Diese Dummköpfe damals! Ließen sich einfach so in eine Diktatur manövrieren, und viele wählten den Diktator sogar noch freiwillig. Nein, hätte er, Klaus, damals gelebt, er hätte sich nicht so einfach betrügen lassen. Er hätte gemerkt, woher der Wind weht. Das war doch alles so offensichtlich!

Und jetzt, nach vielen Jahren, musste er feststellen, dass er sich genau so dumm und genau so naiv hatte betrügen lassen. Und das dazu noch als überzeugter Christ und aktiver Mitarbeiter einer Freikirche. Seinen Kindern hatte er den christlichen Glauben erfolgreich vermitteln können. Von seiner damaligen Feigheit hatte er geschwiegen. Wie sollte man denn auch erklären, dass man sich einfach so in eine Diktatur hineinmanövrieren ließ und die Diktatoren sogar noch freiwillig gewählt hatte…

„Papa?“

„Ja. Tut mir leid, dass ich eben so laut geworden bin, mein Junge.“

„Kein Ding, Papa.“ Pause. „Kann ich Dich trotzdem noch was fragen?“

„Schlimmer kann’s ja nicht mehr werden – oder doch?“

„Das weißt Du, wenn ich gefragt habe.“

„Also los.“

„Papa, ich habe nicht nur im Internet gelesen, sondern auch in der Bibel.“

„Sehr gut. Das ist wenigstens nicht strafbar. Zumindest noch nicht…“

„Ich habe im 5. Mose 28 gelesen“, fuhr Leon fort.

„Klar“, erwiderte sein Vater. „Segen und Fluch“.

„Stimmt“, antwortete Leon. „Habt Ihr damals in der Gemeinde darüber gelehrt, dass diese Invasion auch ein Gericht Gottes war?“

„Ein Gericht Gottes?“

„Ja, was sonst? Das steht doch klar drin.“ Leon nahm seine Bibel zur Hand und las aus dem Kapitel vor: „Den Ertrag deines Ackers und alle deine Arbeit wird ein Volk verzehren, das du nicht kennst… und du wirst zum Entsetzen, zum Sprichwort und zum Spott werden unter allen Völkern… Der Fremdling, der bei dir ist, wird immer höher über dich emporsteigen, du aber wirst immer tiefer heruntersinken… Weil du dem Herrn, deinem Gott, nicht gedient hast mit Freude und Lust deines Herzens, obwohl du Überfluss hattest an allem, wirst du deinem Feind dienen, den der Herr gegen dich schicken wird… Der Herr wird ein Volk über dich schicken von ferne… ein Volk, dessen Sprache du nicht verstehst, ein freches Volk, das nicht Rücksicht nimmt auf die Alten und die Jungen nicht schont. Es wird verzehren die Jungtiere deines Viehs und den Ertrag deines Ackers bis du vertilgt bist, und wird dir nichts übriglassen… Es wird dich ängstigen in allen deinen Städten…“

Klaus schwieg.

„Das ist doch eine genaue Beschreibung der Situation damals, die ich im Internet gefunden habe“, erklärte Leon. „Hat denn keiner in der Gemeinde erkannt, dass die Überflutung eines Landes mit Fremden in der Bibel immer mit Gericht zu tun hat?“

Klaus schaute unter sich und schwieg weiter.

„Warum gab es keine Gebetsinitiativen in der damaligen Zeit? Warum sind die Christen nicht gegen die Demontage ihrer Werte aufgestanden? Ich habe kaum was dazu gefunden! Stattdessen haben Kirchen und Freikirchen die Masseneinwanderung begrüßt. Kirchenobere haben sogar ihr Kreuz abgelegt, angeblich, um Muslime nicht zu provozieren. Warum haben nicht viel mehr Christen gegen diese Unterwerfung protestiert? Hat denn keiner die Kehrseite der Medaille gesehen?“

Klaus schaute auf und sah seinem Sohn in die Augen. „Nein, mein Sohn, kaum einer. Die Gemeinde schwamm damals voll auf der Welle mit. Wie hieß das gleich noch? ‚Refugees welcome‘, ja. Damals gingen Christen sogar mit zum Bahnhof, wo die Züge mit den Migranten ankamen und beklatschten ihren eigenen Untergang. Die ganze Welt schüttelte den Kopf über uns. Ein britischer Politologe schrieb ‚Die Deutschen haben ihr Gehirn verloren‘. Ernst genommen hat das keiner.“

„Und Du, Papa?“

„Was soll ich Dich anlügen, Leon: Nein, auch ich habe das nicht ernst genommen. Die meiste Kritik hat man ja auch nicht im Fernsehen gesehen. Da wurden nur die Schokoladenseiten gezeigt.“

„Papa, dazu habe ich eben schon was gesagt. Wenn Du gewollt hättest, dann hättest Du andere Quellen gehabt.“

Die Stimme von Klaus wurde leiser. „Einige der Migranten sind ja auch Christen geworden. Aber das waren im Verhältnis zu denen, die Jahr für Jahr ins Land strömten, natürlich viel zu wenige.“ Er zuckte mit den Schultern. „Die Kehrseite der Medaille – die wollte damals keiner sehen. Ich meine, wenn die ganzen Leiter, sogar die Freikirchen, wenn die alle sagen, das ist in Ordnung, wie hätte ich da als kleiner ehrenamtlicher Gemeinde-Mitarbeiter gegen die ganzen Studierten aufstehen können?“

„Du hattest Deine Bibel, Papa. Warum hast Du die nicht ernst genommen? Warum hast Du in dem Wirkungskreis, den Gott Dir gegeben hat, nicht zur Wahrheit gestanden? Hätte jeder Einzelne nur das getan, ob Christ oder nicht, es hätte in unserem Land keine islamische Revolution gegeben. Warum, Papa?“

„Es war eine andere Zeit, Leon. Eine andere Zeit. Es war…“ Klaus verstummte. Ihm war klar, wie lächerlich seine Entschuldigungen waren.

Leon stand auf. „Während Du damals Angst hattest, schief angesehen zu werden, haben Christen in Nordkorea und Saudi-Arabien ihr Leben für ihren Glauben riskiert. Der Preis damals in Deutschland, damals, als es noch ein eigener demokratischer Staat war, dieser Preis für die Wahrheit war lächerlich gering im Vergleich dazu. Aber dieser Preis war Dir immer noch zu hoch.“ Leon fuhr fort: „Ich rechne es Dir an, dass Du heute, wo wir echte Verfolgung haben, zu Deinem Glauben stehst. Aber so weit hätte es nicht kommen müssen. Damals, als es darauf ankam, hast Du meine Zukunft und meine Heimat verspielt. Dabei hatten wir so ein schönes Land. Warum, Papa? Warum?“

Während Leon ging, schaute er seinen Vater noch einmal an. Es war ein Blick, der Klaus durch und durch ging. Die ganze Enttäuschung über seinen Vater lag in Leons Blick. Als er aus dem Zimmer gegangen war, blieb Klaus wie versteinert sitzen. Dann, aus der Tiefe seines Herzens, stieg eine Traurigkeit, eine Scham, ein Schmerz auf, wie er ihn noch nie in seinem Leben verspürt hatte. Sein Widerstand dagegen war zwecklos. Schluchzend und wie von Krämpfen geschüttelt saß er da, voller Schmerz, voller Wut auf sich selbst, auf sein Versagen, auf seine Feigheit. Nie zuvor hatte er jemals solch einen tiefen, quälenden, nicht enden wollenden Schmerz empfunden. Und es schien, als wäre dies erst der Anfang…

„Klaus!“ Die Stimme, die seinen Namen rief, hörte sich weit entfernt an. „Kla-haus!“ Immer noch wurde Klaus geschüttelt, aber diesmal von zwei beherzt zupackenden Armen. „Klaus, was ist los mit Dir? Was heulst und schreist Du hier rum? Klaus!“

„Ich bin ein Versager.“

„Was meinst Du damit? Jetzt sei still, sonst wacht der Kleine noch auf.“

Der Kleine? Hatte da jemand gesagt ‚Der Kleine‘? Welcher Kleine? Mit einem Satz schreckte Klaus hoch. „Wo bin ich?“

„Ein Glück, Du bist wach. Das muss ja ein furchtbarer Traum gewesen sein!“

„Bist Du’s, Schatz?“

„Ich glaube, Du bist immer noch nicht ganz klar. Ja, ich bin’s. Und jetzt sei leise, ich bin so froh, dass Leon die letzten zwei Nächte zum ersten Mal durchgeschlafen hat.“

Klaus begriff langsam: „Unser Leon ist erst drei Monate alt, richtig?“

„Erraten. Na, jetzt bist Du wohl doch endlich in der Realität angekommen. Was hast Du denn geträumt, so habe ich Dich ja noch nie erlebt!“

„Zu viel für jetzt“, antwortete Klaus. „Ich gehe nochmal ins Wohnzimmer. Muss erst mal ein wenig zur Ruhe kommen. War ein verrückter Traum. Na ja, eigentlich nicht so verrückt, eher fast real. Gute Nacht, Schatz. Ich komm‘ bald wieder ins Bett.“

In der Tür drehte sich Klaus noch einmal zu seiner Frau um. „Wenn wir irgendwann noch ein Mädchen bekämen – was hältst Du von ‚Sophia‘ als Namen?“

„Ganz okay“, antwortete sie „aber lass uns jetzt erst mal Leon aus dem Gröbsten rausbekommen, ehe Du schon an weiteren Nachwuchs denkst. Gute Nacht.“

Klaus ging ins Wohnzimmer und schlug seine Bibel auf. Er ahnte, welche einmalige Chance er mit diesem Traum bekommen hatte. Dankbar entschloss er sich, sie zu nutzen. Er wusste nicht, was er mit seinen bescheidenen Mitteln überhaupt bewirken konnte. Aber eines wusste er ganz sicher: Er würde seinen Kindern auch in Zukunft zu jeder Zeit in die Augen schauen können. „